Nachtrag: Bericht K.H. Claßen

Karl-Heinz Claßen, Leiter der Exportabteilung ab 1960, führte zur Entwicklung der ROKAL-Modellbahn folgendes aus:

Von der ersten Stunde an war der Vertrieb der neuen 12 mm Modelleisenbahn nicht ganz einfach. Der Markt wurde im Wesentlichen von drei alteingesessenen Firmen beherrscht, die langjährige Partner des Handels waren und diesem eine einträgliche Handelsspanne garantierten. Alle drei hatten eine lange Tradition auf dem deutschen Spielwarenmarkt und waren mit ihrem schon damals relativ breiten Sortiment in der Spurweite H0 ein Begriff für jeden Modelleisenbahner. Der bedeutendste war MÄRKLIN in Göppingen, gefolgt von FLEISCHMANN und TRIX in Nürnberg.

Der Vertrieb von Modelleisenbahnen erfolgte in erster Linie über Spezialgeschäfte für Modelleisenbahnen und Modellbau sowie über die Fachabteilungen der großen Spielwarengeschäfte. Die bedeutenden Spielwaren-Einzelhändler waren Mitglieder in der Einkaufsgenossenschaft VEDES, die federführend bei der Sortiments-Auswahl auftrat und für ihre Mitglieder einen Zentralregulierungsservice bei den Lieferanten anbot.

Auch beim Endverbraucher war natürlich die H0-Bahn mit den drei starken Marken sehr präsent, zumal alle drei Firmen sich in den 50er und 60er Jahren über eine kontinuierliche Sortimentsausweitung mit interessanten Modellen und einem für die damalige Zeit starken Werbeauftritt weiter zu profilieren suchten.

Die Kontakte zum Handel erfolgten über ein Netz von freien Handelsvertretern. Einige davon betreuten auch andere ROKAL-Produkte aus dem Sanitärbereich, die überwiegende Anzahl waren jedoch reine Spielzeugwarenvertreter, die auch andere namhafte Marken aus den Bereichen Puppen, Plüsch- und Holzspielwaren repräsentierten. Die Spezialgeschäfte für Modelleisenbahnen waren die ersten, die das ROKAL-Sortiment aufnahmen. Darüber hinaus waren diese Geschäfte dank ihres erfahrenen Verkaufspersonals ohne Probleme in der Lage, die Besonderheiten des neuen Systems an Kaufinteressenten zu vermitteln.

Bei den Spielwarenfachgeschäften war die Situation ungleich problematischer: Die Aufnahme eines neuen Modellbahnsortiments bedeutete eine nicht unerhebliche Investition in die Breite des Sortiments. Hinzu kam eine gewisse Skepsis, inwieweit eine neue Modellbahn, mit einem anderen Maßstab, mit einem zunächst limitierten Sortiment und einer nur geringen Auswahl an Zubehörteilen sich am Markt halten bzw. durchsetzen würde. Auch die Einkaufsorganisation VEDES äußerte eher Zurückhaltung als Zustimmung. Das Ergebnis war, dass zunächst nur eine geringe Zahl der möglichen Vertriebsstellen in diesem Bereich gewonnen werden konnten.

ROKAL brauchte jedoch dringend eine möglichst breite Distribution, um nennenswerte Stückzahlen absetzen zu können. Man musste sich daher etwas einfallen lassen und einen unkonventionellen Weg gehen: Zunächst versuchte man, über die bestehenden Kontakte aus dem Sanitärbereich weiter zu kommen. Der Sanitär-Großhandel sah eine Chance, ein neues Vertriebsbein aufzubauen und einige der größeren Händler nahmen die Modellbahn in ihr Sortiment auf. Ein weiterer Vertriebspartner konnte mit dem Spielwaren-Großhandel gewonnen werden. Der Großhandel war nicht der bevorzugte Partner für technische Sortimente; die traditionellen Modellbahnfirmen machten ihre Umsätze lieber mit den Einzelhändlern direkt. So hatte ROKAL eine Chance, wenigstens diesen Vertriebsweg für seine Produkte zu erschließen.

In den 50er und Anfang der 60er Jahre waren die Warenhäuser mit ihren Spielwarenabteilungen noch nicht auf einem Niveau, das mit dem eines Spielwarenfachgeschäftes vergleichbar gewesen wäre. Modelleisenbahnen wurden, wenn überhaupt, dann nur in den größeren Filialen angeboten. Mangels ausreichender Präsenz im Facheinzelhandel musste ROKAL jede sich bietende Möglichkeit nutzen und bot daher seine Produkte auch über die Versand- und Warenhäuser an, was ihr nicht unbedingt Sympathien beim Fachhandel und bei der VEDES einbrachte.

Man verübelte ROKAL, dass durch seine Präsenz die Konkurrenzgeschäfte gestärkt würden und vermutete, dass längerfristig das Margengefüge des Facheinzelhandels geschwächt werden würde. Ein weiteres Problem stellte für ROKAL das Preis- und Rabattsystem dar. Bedingt durch die am Anfang kleineren Serien sowie durch die zusätzliche Rabattspanne des Großhandels waren die Produkte in vielen Fällen teurer als die gleichen Modelle der H0-Sortimente. Der Modellbahner mochte dies ja noch hinnehmen, für die breite Masse der Erstkäufer war dies eher unverständlich, insbesondere, wenn von Seiten des Verkaufspersonals des Handels keine Erklärung über die Vorteile der kleineren Spurweite gegeben wurde.

Diese Situation fand Hans Rameckers vor, als er 1956 die kaufmännische Leitung der ROKAL-Modellbahn übernahm. Ihm war nach kurzer Zeit klar, dass nur eine Verbesserung der Distribution in den klassischen Kanälen, nämlich den Fachabteilungen des Spielwareneinzelhandels den Durchbruch bringen konnte. Darauf richtete er sein Hauptaugenmerk.

Unermüdlich suchte er durch gezielte persönliche Kontakte zu den maßgeblichen Händlern die alten Vorbehalte auszuräumen. Als wichtige Meinungsbildner spielten natürlich auch die Verbände und deren Strukturen eine große Rolle und die enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den entscheidenden Personen führte letztendlich zu einer immer besseren Akzeptanz der ROKAL-Modellbahn in den verschiedenen Vertriebskanälen. Ihm und seiner vorausschauenden

Arbeit ist es letztendlich zu verdanken, dass die ROKAL-Modellbahn als eigenständige Marke im gesamten Bereich des Spielwarenhandels etabliert werden konnte. Hans Rameckers schöpfte dazu alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aus; heute würde man dies als gelungenen Marketing-Mix bezeichnen.

Nachdem durch die Umstellung auf den Zahnradantrieb ein gutes und verkaufsfähiges Produkt vorhanden war, suchte er verstärkt die Zusammenarbeit mit dem Handel und darüber hinaus erkannte er sehr schnell, dass Präsenz in den wichtigen Gremien der Branche eine unabdingbare Voraussetzung für eine Akzeptanz am Markt war. Dazu gehörte für ihn selbstverständlich auch ein persönliches Engagement beim Aufbau des Nordwestdeutschen Spielwarenhersteller-Verbandes als Untergruppe des Deutschen Verbandes. Weiterhin übernahm er Verantwortung in der Spielwarenmesse e. G., (Nürnberg), der er als Aufsichtsratsmitglied angehörte.

Die schon viel früher angebotenen Produktschulungen für das Fachpersonal der Händler wurden noch intensiviert, um den Handel in die Lage zu versetzen, die vielfältigen Möglichkeiten und die trotzdem einfache Handhabung der ROKAL-Modellbahn zu dokumentieren. Diese Schulungen wurden von Kurt Hey geleitet. Er verstand es in unnachahmlicher Weise, den Teilnehmern - Fachverkäufer von Einzel- und Großhändlern - die technischen Grundvoraussetzungen für den Verkauf der Produkte zusammen mit gezielten Verkaufsargumenten zu vermitteln und immer wieder die Vorzüge des Platz sparenden TT-Maßstabes herauszuarbeiten. Diese Schulungen erstreckten sich über 2 - 3 Tage in denen die Verkäufer Gäste des Unternehmens waren. Selbstverständlich wurden dabei auch Führungen durch die übrigen Produktionsabteil- ungen gemacht, für die Schulungsteilnehmer ein besonderes Erlebnis, da sie in der Regel noch nie einen derartigen Pro- duktionsbetrieb, besonders die Druckgießerei und die anschließende Bearbeitung in Fertigungsstraßen gesehen hatten.

Von diesen Schulungen wurde von Seiten des Handels reger Gebrauch gemacht. Für ROKAL boten sie nicht nur die Möglichkeit, umfassend über die Modellbahn zu informieren und notwendiges technisches Wissen zu vermitteln, durch die Besichtigung des Gesamtbetriebes wurde auch erreicht, dass die Händler einen Eindruck bekamen, was hinter dem Namen ROKAL stand, nämlich eine bedeutende Firma und keine Hobbywerkstatt, wie manchmal behauptet wurde.

In den ersten Jahren wurde die Werbung, einschließlich Packungsgestaltung, Kataloge, technische Handbücher, bis hin zur Anzeigengestaltung in der eigenen Werbeabteilung unter der Leitung von Kurt Lummert gestaltet und ausgeführt. Mit zunehmender Entwicklung des Sortimentes und nicht zuletzt durch gestiegene Anforderungen des Marktes wurde schnell klar, dass der Werbeetat in professionelle Hände gelegt werden musste. So wurde Anfang der 60iger Jahre die Agentur trend-Werbung in Düsseldorf mit der Gestaltung und Durchführung aller Werbemaßnahmen betraut.

Damit bekam der gesamte Werbeauftritt der ROKAL-Modellbahn endlich eine ganz andere Qualität, nämlich die eines Markenartikels. Alle wesentlichen Werbeaussagen wurden einer kritischen Prüfung unterzogen, angefangen vom Logo über standardisierte Aussagen auf den Verpackungen und in den Katalogen sowie Neuauflagen von technischen Handbüchern und Betriebsanleitungen in ansprechendem Design. Durch neue Verpackungsgestaltungen insbesondere bei den Anfangspackungen und den Lokomotiven bekamt die ROKAL-Modellbahn ein neues, zeitgemäßes Gesicht. Neben den jährlichen Katalogen, die sowohl für den Händler als Verkaufsinstrument gestimmt waren, die aber auch von vielen Modelleisenbahnern Jahr für Jahr gesammelt wurden, gab es im verstärkten Maße - insbesondere in der Vorweihnachtszeit oder bei Auslieferungen der Neuheiten-Prospekte, auf Wunsch auch mit Händlereindrucken ,die vom Handel den regionalen Zeitschriften beigelegt werden konnten.

In einem Jahr wurde von ROKAL selbst ein Preisausschreiben veranstaltet, bei dem die Ankündigungsprospekte bundesweit in Zeitungen und Zeitschriften gestreut wurden. Als Gewinne waren 777 Grundpackungen Tischbahn "Boy" ausgesetzt. Der Erfolg war überwältigend, die Rücklaufquote lag bei mehr als 60.000 Postkarten mit der richtigen Lösung. Die Gewinner wurden unter notarieller Aufsicht und im Beisein der örtlichen Presse von Kindern aus dem Lobbericher Waisenhaus gezogen. Die vielfältigen, eng mit dem Handel abgestimmten Maßnahmen gaben der Modellbahn ein neues Aussehen. In der heutigen Zeit würde man dies als einen gelungenen Product Relaunch bezeichnen. Es gab sogar interne Überlegungen und Diskussionen, evtl. das neue Medium Werbefernsehen einzusetzen. Diese wurden allerdings wieder verworfen, da man die für eine Fernsehwerbung unabdingbare Voraussetzung, nämlich eine flächendeckende Distribution noch nicht erreicht hatte.

Auf der wichtigsten Veranstaltung der Spielwarenbranche, der Nürnberger Spielwarenmesse, war ROKAL jedes Jahr mit einem repräsentativen Stand vertreten. Auf diesem Schaufenster der Branche wurden dem Fachpublikum bereits im Februar die Neuheiten des Jahres vorgestellt, auch wenn die Auslieferung erst kurz vor Weihnachten erfolgte. Die Akzeptanz der Neuheiten durch Facheinkäufer und Fachpresse, sowie die dort getätigten Bestellungen waren wichtige Indikatoren für die zu erwartenden Verkaufsstückzahlen. Um auch den interessierten Modelleisenbahnern die Möglichkeit zu geben, die technischen und gestalterischen Besonderheiten der 12-mm-Bahn in einem laufenden Zugbetrieb kennen zu lernen, war ROKAL mit großen und technisch anspruchsvollen Anlagen auf regionalen Publikumsausstellungen vertreten. Einige Jahre lang war auch ein umgebauter VW-Bus als rollende Ausstellung im In- und Ausland unterwegs. In enger Zusammenarbeit mit Zubehörlieferanten wie Busch, Faller oder Vollmer wurden tiefgezogene Modellanlagen entwickelt, die vom Handel zur Schaufensterdekoration eingesetzt und später als fertige Modelle an Interessenten verkauft wurden.


ROKAL VW-Bus als rollende Ausstellung

RÖWA und das Ende von ROKAL-TT

Vertrieb Ausland

 

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Die Geschichte der ROKAL-TT Modelleisenbahn, Manfred Albersmann

ROKAL-Katalog 21D, ROKAL-Freunde Lobberich

Die Geschichte und Produktion der ROKAL-Werke Lobberich, Hans-Georg Heymanns und Dieter Cordes

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